Bei Kindersicherheit denken die meisten Eltern zunächst an die Sicherheit ihrer Kleinen im Straßenverkehr. Doch überraschend viele Unfälle mit Kindern passieren zuhause und in der Freizeit. Die Folge: fast 200.000 stationäre Krankenhausbehandlung jährlich. Kleinkinder sind hier besonders gefährdet: Stürze, Schnittwunden, Quetschungen – die Aufzählung von z.T. schweren Verletzungen ließe sich noch fortführen. Einmal für das Thema Kindersicherheit sensibilisiert, ergeben sich für Eltern und Betreuer von Kindern folgende Fragen:
Wie lässt sich die Kindersicherheit daheim durch Prävention verbessern? Und wie handelt man richtig, falls es doch einmal zu einem Unfall kommt?
Um aus erster Hand zu erfahren, wo im Haushalt Gefahren für Kinder lauern und wie Eltern diesen begegnen können, lassen wir einen absoluten Experten auf dem Gebiet der Kindersicherheit zu Wort kommen: Andreas Kalbitz von der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder hat uns dazu ein aufschlussreiches Interview gegeben.
Im Anschluss an das Interview mit Herrn Kalbitz finden Sie die Ratgeberbroschüre „Erste Hilfe: Unfälle mit Kindern“ – herausgegeben von den Fachleuten der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder – als PDF zum kostenlosen Download.
Übrigens: Der bundesweite Kindersicherheitstag (10. Juni) wurde 2000 von der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder ins Leben gerufen. Wir gratulieren zu 20 Jahren erfolgreicher Arbeit zum Wohle der Kindersicherheit!
Experten-Interview mit Andreas Kalbitz, Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e.V., Bonn
Herr Kalbitz, bitte stellen Sie sich und die Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder e.V. kurz vor.
A. Kalbitz: „Mein Name ist Andreas Kalbitz und ich bin Geschäftsführer der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder. Die BAG ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Ziel es ist, gravierende Kinderunfälle in Deutschland zu vermeiden. Durch Presse- und Öffentlichkeitsarbeit machen wir auf das Thema Kindersicherheit aufmerksam, durch Kampagnen und Informationsmedien sensibilisieren wir Eltern, Betreuungspersonen und Multiplikatoren und vermitteln Handlungshinweise, wie Unfälle vermieden werden können. Darüber hinaus bieten wir Fortbildungen rund um das Thema Kindersicherheit und Kinderunfallprävention für Fachkräfte an. Wichtig ist mir zu betonen, dass es die absolute Sicherheit nicht gibt. Kleinere Unfälle gehören zum Leben dazu, Kinder wachsen daran. Wir wollen jedoch die Unfälle mit schwerwiegenden Folgen verhindern. Jährlich gibt es knapp 175 Todesfälle von Kindern aufgrund eines Unfalles. Zu den Unfällen mit Todesfolge kommen knapp 200.000 Unfälle, die stationär in einem Krankenhaus behandelt werden müssen und die zum Teil langfristige gesundheitliche Folgen haben und große Belastungen für die Familien darstellen. Solche gravierenden Unfälle zu vermeiden, das ist unsere Zielsetzung.“
Falls doch mal ein Unfall passiert, was sind die Maßnahmen zur Ersten Hilfe bei Kindern?
A. Kalbitz: „Zunächst einmal gilt es, Ruhe zu bewahren. Kinder spiegeln das Verhalten der Eltern. Wenn Eltern panisch und aufgeregt reagieren, tun dies auch ihre Kinder. Man sollte daher versuchen ruhig zu bleiben und sich zunächst einen Überblick über die Gefahrensituation zu verschaffen sowie das Kind von der Gefahrenquelle zu entfernen. Anschließend sollte das Kind beruhigt und auf Verletzungen untersucht werden. Hierbei kann festgestellt werden, welche Maßnahmen der Ersten Hilfe notwendig sind, die je nach Verletzung sehr unterschiedlich sind. Um diese zu kennen empfehlen wir Eltern, sich im Vorfeld mit dem Thema auseinanderzusetzen. Hierfür gibt es beispielsweise Kurse zur Ersten Hilfe am Kind. Auch existieren Informationsmaterialien, wie z.B. unsere BAG Ratgeberbroschüre „Erste Hilfe: Unfälle mit Kindern.“ Hier finden Sie alle Informationen zu verschiedenen Unfallarten und den damit einhergehenden, notwendigen Hilfemaßnahmen. Darüber hinaus sollte der Haushalt mit einem aktuellen Erste-Hilfe-Kasten ausgestattet sein. Die Nummern des Notrufs, der Giftnotrufzentralen oder des Kinderarztes sollten immer griffbereit sein, um im Notfall schnell Hilfe rufen zu können.“
Würden Sie an der Stelle auch vorschlagen, Kinder vielleicht vorab zu schulen, falls mal was passieren sollte?
A. Kalbitz: „Ab einem gewissen Alter macht das Sinn, es gibt z.B. auch Erste-Hilfe-Kurse für Kinder. Dort wird den Kindern altersgerecht beigebracht, wie sie sich verhalten sollten, wenn es beim Spielen zu Unfällen kommt. Hiermit macht man die Kinder mit dem Thema vertraut und nimmt ihnen ein Stück weit die Angst und die Furcht. Sie können dann besser mit solchen Situationen umgehen, da sie sie spielerisch schon einmal durchgespielt haben.“
Wieso ist der Wickeltisch eine so große Gefahrenquelle und was gibt es dort zu beachten?
A. Kalbitz: „Stürze sind tatsächlich die häufigste Unfallursache. Kleine Kinder fallen dabei besonders häufig vom Wickeltisch. Aufgrund der Höhe kann es dabei zu sehr schwerwiegenden Verletzungen kommen. Beim Wickeltisch gilt: Das Kind nie aus den Augen lassen und immer eine Hand am Kind halten. Auch wenn dies selbstverständlich klingt, kann es im alltäglichen Stress relativ schnell dazu kommen, dass man dem nicht mehr nachkommt, da man, z.B. durch das Telefon oder die Türklingel, abgelenkt ist. Dann gilt, erst zu Ende wickeln, das Kind von der Wickelkommode nehmen und sich erst dann anderen Dingen zuwenden. Hilfreich ist auch, den Wickeltisch so zu stellen, dass er durch möglichst viele Wände abgesichert ist, so dass das Kind an weniger Ecken herunterfallen kann.“
Welche Stürze lassen sich im Haus durch was und wie vermeiden?
A. Kalbitz: „Wichtig ist auch hier zu betonen, dass man nicht alle Stürze vermeiden kann. Stürze müssen nicht immer mit gravierenden Folgen einhergehen, kleinere Stürze gehören zu der kindlichen Entwicklung dazu. Man sollte sich jedoch bewusst sein, dass auch vermeintlich sichere Stellen wie das Elternbett oder das Sofa schnell zur Unfallgefahr werden können. Gerade sehr kleine Kinder können ihre Eltern mit neuen Bewegungen überraschen, daher sollte man sie nicht ohne Aufsicht auf Bett, Sofa oder ähnlichem lassen. Bei älteren Kindern, die bereits laufen und klettern können, werden Steighilfen immer interessanter, um die Umwelt zu erkunden. Findet ein Kind eine Steighilfe unter einem offenen Fenster oder auf einen Balkon, kann das jedoch zu einer bedrohlichen Situation führen. Stürze von Fenstern und Balkon sind folgenschwere Unfälle, die in den Sommermonaten immer wieder vorkommen. Daher sollte man Kinder beim Lüften mit ganz geöffneten Fenstern oder auf dem Balkon nicht alleine lassen und darauf achten, dass Steighilfen wie Stühle oder Regale nicht in der Nähe eines Fensters bzw. am Balkongeländer sind.“
Was halten Sie von Treppenschutzgittern? Können diese nicht sogar gefährlich sein, wenn ein Kind versucht drüber zu klettern?
A. Kalbitz: „Treppenschutzgitter sind sinnvoll, sobald das Kind ins Krabbelalter kommt, da die Treppe ein hohes Risiko für Stürze birgt. Wichtig ist, dass die Streben von unten nach oben verlaufen, sodass Kinder auch mit anderthalb bis zwei Jahren nicht darüber klettern können. Außerdem ist es auch hier wichtig, darauf zu achten, dass sich keine Steighilfen in der Nähe befinden, die Kinder nutzen könnten, um über das Gitter zu klettern. Denn Kinder stürzen gerade deswegen so oft kopfüber, da der Körperschwerpunkt noch ein anderer ist als bei Erwachsenen. So macht der Kopf eines Kleinkindes im Alter von zwei Jahren ca. 16 % des Körpervolumens des Kindes aus, bei einem Erwachsenen sind es hingegen nur 9 Prozent. Um ein geeignetes Treppenschutzgitter zu finden, empfehlen wir, sich im Fachgeschäft beraten zu lassen.“
Gehen wir über zur Küche. Was ist, Ihrer Meinung nach, dringend zu beachten, was sind häufige Unfallverursacher und wie kann die Sicherheit erhöht werden? Und dürfen Kinder beim Kochen helfen?
A. Kalbitz: „Die Küche ist ein Raum in dem sich vieles abspielt und in dem sich gleichzeitig viele Unfallrisiken sammeln. Typische Gefahrenquellen in der Küche sind heiße Herdplatten, lange Stiele von Pfannen oder herunterhängende Kabel. Verbrennungen oder Verbrühungen sind für Kinder vor allem problematisch, da beispielsweise eine Tasse Kaffee bis zu 30 Prozent der Körperfläche eines Kindes verbrühen kann. Das heißt, während Erwachsene sich den Arm verbrühen, wäre das beim Kind der gesamte Rumpfbereich. Andere Gefahrenquellen stellen Putz-, Wasch- und Reinigungsmittel dar, da sie Vergiftungen oder Verätzungen verursachen können. Nicht zuletzt sollte man auch bei scharfen Messern und Gabeln entsprechend aufpassen. Trotz der verschiedenen Gefahrenquellen in der Küche heißt das nicht, dass ein kleines Kind sich nicht in der Küche aufhalten sollte. Gemeinsames Kochen und Mithelfen bei täglichen Aktivitäten tragen zur kindlichen Entwicklung bei. Wichtig ist nur, dass Eltern sich der Gefahrenquellen bewusst sind und versuchen, diese zu minimieren. Um Risiken besser einschätzen können, empfehlen wir, sich in die räumliche Perspektive eines kleinen Kindes hineinzuversetzen. Befinden Sie sich auf der Höhe Ihres Kindes, fallen ihnen Dinge auf, die für ihr Kind interessant sein könnten, aber gleichzeitig auch ein Risiko darstellen. Hat man diese Risiken erkannt, gibt es Sicherheitstechniken und Unterstützung, die Gefahrenquellen minimieren können, wie beispielsweise Schubladen- oder Backofensicherungen, Herdschutzgitter oder ein Steckdosenschutz. Putz- und Waschmittel sollten zudem in einem abschließbaren Schrank gelagert werden.“
Was gilt es bei der Einrichtung des Kinderzimmers zu beachten in Bezug auf die Sicherheit? Und wie gestalte ich am besten ein sicheres Kinderzimmer?
A. Kalbitz: „Bei der Einrichtung eines sicheren Kinderzimmers ist die Auswahl der Möbel, altersgerechtes Spielzeug und eine überlegte Einrichtung entscheidend. Angefangen bei einem geeigneten Bett, ist es wichtig, dass dieses altersgerecht ist. So sind Hochbetten für Kinder unter sechs Jahren aufgrund der Sturzgefahr ungeeignet. Zudem sollte man darauf achten, dass, wie auch in anderen Räumen, die Möbel stabil und kippsicher angebracht sind. Hier empfiehlt es sich Schränke an der Wand zu befestigen. Abschließbare Griffe an den Fenstern und rutschfeste Teppiche sind ebenfalls sinnvoll. Neben der Auswahl der Möbel, sollten Sie darauf achten, dass die Kinder nur Zugang zu altersgerechtem Spielzeug haben. Vor allem bei Kindern unter drei Jahren gilt es, darauf zu achten, dass sie an keine kleinteiligen Spielsachen herankommen, da sonst Erstickungsgefahr besteht. Auch kleinteilige Spielsachen älterer Geschwister stellen eine solche Gefahr dar. In diesem Fall ist es nicht nur wichtig selbst aufmerksam zu sein, sondern auch älteren Geschwistern das Risiko, das von ihrem Spielzeug für kleinere Kinder ausgeht, zu erklären.“
Herzlichen Dank für das aufschlussreiche Gespräch, Herr Kalbitz, und weiterhin viel Erfolg bei Ihrer wichtigen Arbeit!
Sollte in keinem Haushalt fehlen – die Ratgeberbroschüre „Erste Hilfe: Unfälle mit Kindern“
Zum kostenlosen Herunterladen des Ratgebers „Erste Hilfe: Unfälle mit Kindern“ von der Bundesarbeitsgemeinschaft Mehr Sicherheit für Kinder klicken Sie bitte hier.
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